Wer hat sich das bloß ausgedacht? Es gibt Dinge auf der Welt, die scheinen leider so selbstverständlich, dass man sich nur noch selten daran stößt. Zum Beispiel fünf Tage im Büro, auf dem Bau oder woauchimmer schuften – für ein läppisch kurzes Wochenende. Und wer hat gesagt, dass nur die runden Geburtstage gefeiert gehören oder dass es für Ausgelassenheit und Exzess überhaupt einen Anlass braucht? Dem tristen Alltag aus Lohnarbeit, Familienstumpfsinn und Hochkulturblödheit, all den offenen und verborgenen Zwängen und Forderungen das Versprechen von Befreiung und Glück entgegensetzen, das war und ist ein Anliegen von Pop. Und vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb die Spex, das Zentralorgan der deutschen Popintelligenzija, einfach so zwischendurch feiert. Jedenfalls hat man sich selbst und der Leserschaft ganz unrunde 33 1/3 Jahre nach Gründung nun ein Geschenk dargebracht. »Spex – Das Buch« versammelt Texte aus mehr als drei Jahrzehnten, verfasst von einer höchst illustren Riege von Autorinnen und Autoren: Tobias Levin, Jens Balzer, Christoph Gurk, Eric Pfeil, Tobias Rapp – um nur einige zu nennen. Weiterlesen

sagte der Bär zu dem Jungen, als der Junge an Bord ging. »Richtige« Namen haben die beiden Protagonisten in Dave Sheltons Roman »Bär im Boot« nicht, sie sind einfach der Junge und der Bär. Und das macht auch gar nichts, denn das Figurenspektrum im Roman ist recht übersichtlich, die beiden bleiben unter sich. Genauso offen wie die Namensfrage lässt der Autor die Fragen, woher der Junge kommt, warum er zu einem sprechenden (!) Bären ins Boot steigt und wohin genau die Fahrt gehen soll. Lediglich, dass der Junge »auf die andere Seite« möchte, erfährt der Leser. Und wer aufmerksam liest, findet noch einen Hinweis auf die Herkunft des Jungen, aber ob die kleine Küstenstadt in Norfolk auch Ausgangspunkt seiner Reise ist, wissen wir natürlich nicht. Überhaupt spielen diese Dinge eine untergeordnete, eigentlich gar keine Rolle in dem Roman. Der Schwerpunkt liegt auf den beiden Hauptfiguren, auf dem Bär und dem Jungen und auf ihrer (Über)Fahrt über das Meer. Weiterlesen

Spätestens seit A. A. Milnes »Winnie-the-Pooh« weiß jedes Kind, was ein Ginsterbusch ist: Ein stacheliges, hinterhältiges Gewächs, in welches der Bär mit dem geringen Verstand am Ende seines Bienen-Abenteuers fällt.

Bei Siegfried Kracauers Protagonisten handelt es sich allerdings nicht um einen Busch, wie man vielleicht anfangs vermuten würde, sondern um einen Menschen. Ginster – man erfährt leider nie, ob dies ein Vor-, Nach- oder Spitzname ist – lebt während des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs in Deutschland, ist 25 Jahre alt und Architekt. Soweit lässt sich im Grunde der Inhalt des Romans zusammenfassen, der Rest ist Ausschmückung im Detail. Weiterlesen

romanmitkokainWem die Bücher des Manesse-Verlages bis jetzt zu klein, die Themen zu brav oder die Autoren zu lange tot gewesen sind, der kommt mit dem 2012 erschienenen »Roman mit Kokain« auf seine Kosten. Im Gegensatz zu richtigem Kokain bekommt man davon keine krumme Nasenscheidewand, wird aber süchtig (nach guter Literatur). Außerdem habt ihr die Möglichkeit, das Buch hier auf völlig legalem Weg umsonst zu bekommen, etwas, womit der Dealer eures Vertrauens nicht aufwarten kann. Alles was ihr tun müsst, ist diesen Beitrag zu kommentieren, hier oder bei Facebook, und mit ein bisschen Glück kommt Agejews Meisterwerk dann postwendend zu euch.

…fragt ein Vater seinen Nachwuchs am Buffet, schließlich steht der frühkindliche und spielerische Erwerb von Fremdsprachenkennt-nissen heutzutage vielerorts hoch im Kurs. Dass der Vater hier selbst »Nachholbedarf« hätte, macht die Situation so komisch. In »So ein Tag. Familienskizzen« versammelt Philip Waechter insgesamt 76 Tage, 76 Szenen aus dem Alltag einer ganz normalen Familie mit Kind – in Frankfurt am Main. Weiterlesen

Das Verhältnis der Vereinigten Staaten von Amerika zum Erdöl ist eines der meist diskutierten Themen unserer Zeit. Angefangen bei den Kriegen, die unter dem Deckmantel der „Demokratisierung“ Öl fördernder Regime geführt wurden, über die Havarien, die zum größten Teil auf die Rechnung von Multikonzernen wie EXXON gehen, bis hin zu der höchst umstrittenen Methode des „fracking“, bei dem mit Hilfe von Chemikalien Erdöl und -gas an die Oberfläche gespült werden soll. Weniger prominent ist die Geschichte der US-Ölförderung im eigenen Land: Anfang des 20. Jahrhunderts fand in weiten Teilen Kaliforniens ein regelrechter Ölboom statt, was einerseits einen kleinen Teil der Bevölkerung, die damaligen Ölbarone, zu Millionären machte, den Rest der Beteiligten aber ins Elend stürzte. Inzwischen sind zwar knapp hundert Jahre vergangen, doch mit der Neuauflage von Upton Sinclairs Roman „ÖL!“ aus dem Jahre 1927 hat man die Möglichkeit, sich erneut in diese stürmischen Zeiten zu versetzen, nicht zuletzt, um hin und wieder einen kritischen Seitenblick auf unsere Welt zu werfen. Weiterlesen

Zugegeben, bis der 14jährige Protagonist in Louis Jensens Roman »33 Cent – um ein Leben zu retten« auszieht – was in seinem Fall bedeutet, dass er sich zusammen mit Freundin Anne in einem gestohlenen Supermarkt-Lkw voller Lebensmittel auf den Weg gen Marokko macht – dauert es eine Weile. Aber der Reihe nach. Mit dem Wissen, dass man nur 33 Cent am Tag braucht, um ein afrikanisches Kind vor dem Verhungern zu retten, fängt für ihn, der gleichzeitig auch Erzähler ist, alles an.

Er beschließt zu handeln. Zunächst bewegt er sich dabei noch auf der legalen Seite, verkauft die Hälfte seiner eigenen Sachen, sammelt Spenden, fängt an, in einem Supermarkt zu arbeiten und geht nur noch jeden zweiten Tag zur Schule, um mehr Geld verdienen zu können. Aber dabei bleibt es nicht, es folgen Ladendiebstähle, schließlich beklaut er auch seinen Vater, einen Richter, indem er Geld von dessen Konto nach Afrika überweist. Weiterlesen

Zwei junge Mädchen lernen sich kennen, freunden sich an und schwören sich ewige Treue. Aber nur in schlechten Romanen ist Ewigkeit mehr als die Hoffnung bemitleidenswerter Optimisten. Und nur in schlechten Romanen ist die Kindheit ein Hort unbeschwerter Glückseeligkeit, wo das Böse nur in Erzählungen lauert. »Nachhinein« von Lisa Kränzler ist alles andere als ein schlechter Roman. Die Geschichte der zwei anfänglichen Freundinnen ist in ihrer Konsequenz so schonungslos wie wahrhaftig. Und ja, die Wahrhaftigkeit, die in diesem Roman steckt, ist mitunter schwer zu ertragen. Eben weil am Ende, im Nachhinein, alles ganz anders kommt, als die Freundinnen es sich erhofft hatten. Im Nachhall klingt der hehre Schwur, mit dem alles seinen Anfang genommen hat, so hohl und leer, dass es beinahe schmerzt. Weiterlesen

91I56fh1YZLDie namenlose junge Frau, um die es in »Zwölfender« geht, bewegt sich ab der ersten Seite des Romans in einem Raum zwischen Gewissheit und Zweifel. Sie befindet sich in einer Zwischenwelt, die typographisch abgesetzt erscheint, in feinerer, minimalistischer Schrift und unregelmäßig, wie Lücken zwischen den realer anmutenden Kapiteln. Hier lebt sie in einem Wald, in einer selbsterwählten Isolation von ihrer Umwelt, aus der sie keinen Rückweg mehr findet. Sie schläft auf Steinen, neben Füchsen und Luchsen, baut sich zu Anfang ein Zelt aus Farn und Ästen, gewöhnt sich rasch an die Geräusche der Natur und weiß schließlich nicht mehr, vor was sie ihr Unterschlupf überhaupt beschützen sollte. Sie wird eins mit dem Wald und nur entfernt hört sie Fluglärm, der sie wissen lässt, dass sich die Welt außerhalb noch weiterdreht. Weiterlesen

2012 war offensichtlich das Jahr der wiederentdeckten Russen. Neben Gaito Gasdanow, dessen Meisterwerk »Das Phantom des Alexander Wolf« nach langer Zeit nun im Hanser Verlag den Weg in die Herzen der deutschen Leser fand, tritt nun ein weiterer Schriftsteller auf, der Gasdanow jedoch nicht unähnlicher sein könnte. M. Agejew ist sein Name, und das ist im Grunde auch alles, was man von ihm weiß: Ein Pseudonym, unter welchem er 1934 sein  erstes und einziges Werk veröffentlichte, den »Roman mit Kokain«. Danach wurde es still um ihn, manche Spekulationen gehen davon aus, dass er bis zu seinem Tod im Jahre 1973 bescheiden als Sprachlehrer in Russland lebte, andere glauben, dass er bereits in den 30er Jahren verstarb.

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»Verachtet mir die Meister nicht«: Im Mai beginnen die Feuilleton-Festspiele zu Richard Wagners 200. Geburtstag. Zur rechten Zeit hat sich eine Schwemme von Veröffentlichungen angekündigt, die allesamt das Leben des Komponisten beleuchten wollen. Die vielversprechendste Biographie hat der Musikwissenschaftler Martin Geck geschrieben. Sicherheitshalber hat der Siedler-Verlag sie schon im vergangenen Oktober veröffentlicht. »Wagner« heißt das Buch lapidar und ist gar keine Biographie. Zumindest nicht im Sinne des eigentlichen Wortgebrauchs. Vielmehr geht Geck in seinem knapp 400 Seiten umfassenden Rundumschlag analytisch auf das Schaffen Richard Wagners ein und unterteilt es in 14 Kapitel. Da wird der »Lohengrin« seziert, »Der Ring des Nibelungen« als Mythos des 19. Jahrhunderts durchleuchtet und der Sarkasmus der prätentiösen »Meistersinger“ untersucht. Weiterlesen

Wir leben in unruhigen Zeiten. Man muss nur kurz den Fernseher einschalten um sich dessen sicher zu sein. Rund um den Globus flammen nationale und ethnische Konflikte ebenso auf wie jene auf sozialer Ebene. Die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter auseinander und gerade in Ländern, die an Schwellen- und Dritte-Welt-Länder grenzen, wird das Elend der Einwanderer und Flüchtlinge immer offensichtlicher. Glücklicherweise bietet unsere Gesellschaft genügend Möglichkeiten zur Ablenkung, sei es durch Konsum, in kreativem Schaffen oder etwa mit dem Genuss eines guten Buches. In dieser Hinsicht war das Jahr 2012 wieder ein Jahr voller interessanter Neuerscheinungen, darunter auch zahlreiche Erstlingswerke. Von schizophrenen Vogelbeobachtern konnte man lesen, ebenso wie von jungen Aserbaidschanerinnen. »In den Häusern der Barbaren« von Héctor Tobar ist ebenfalls ein Erstlingswerk, fällt aber aus der Reihe. Wieso? Weiterlesen